Menschen wollen sich selbst, andere und ihre Umwelt verstehen. Sie sind deshalb an der Wahrheit orientiert. Nichts interessiert sie mehr als die Wahrheit. Es ist so mit den kleinen wie mit den großen Dingen. Sie wollen verstehen, wie man all die Probleme des Alltags löst. Und sie wollen wissen, was hinter den vergänglichen Dingen des Lebens und Dasein steht: was bestehen bleibt, wenn diese Dinge nicht mehr da sind.
Es geht oft um existenzielle Dinge: Dinge, die mit dem Sein oder Nicht-Sein der Menschen verknüpft sind. Deshalb waren es stets Mythen und Religionen, die ihr Leben bestimmten. Jedes Volk hatte seine, ihm eigenen Mythen und religiösen Vorstellungen. Europa ist heute noch geprägt vom Christentum.
Die Wahrheiten all der Mythen und Religionen beruhten jedoch auf Glauben. Als der Einfluss des Christentums schwand und die Philosophie wieder zum Leben erwachte und die modernen Wissenschaften entstanden, wollte man sich aber nicht mehr mit Glauben zufrieden geben. Man strebte nach Wissen – und war durchaus erfolgreich dabei. Man warf alles über Bord, was irgendwie den Eindruck erweckte, Produkte des Glaubens zu sein: Seele, Verstand, Geist, Emotionen, Unterbewusstsein usw.
Leider schüttete man dabei aber das Kind mit dem Bade aus. Man konnte das Denken nicht beobachten, um den Menschen zu verstehen. Also beschränkte man sich auf sein Verhalten. Man machte „Verhaltenswissenschaft“ - und beobachtete, was geschieht, wenn man Tiere oder Menschen für ihr Verhalten bestraft oder belohnt o. ä. Verhalten konnte man beobachten und messen. Also blendete man das Denken des Menschen allmählich aus. Man lokalisierte es in der „black box“, zu der man keinen Zugang fand. Man wusste, es gibt zwei Wege, um zu lernen: Denken und Beobachtung. Und man beschränkte sich auf die Beobachtung.
Was man beobachten kann, ist aber in erster Linie Materie: die Gestalt von Körpern, die Moleküle von Stoffen, den Untergang von Gewebe oder die Aktivität von Stoffen in der Körperzelle. Wenn man das tagein, tagaus macht, wird man irgendwann – ohne jemals darüber nachgedacht zu haben - überzeugt davon sein, dass es Materie ist, was unsere Realität bestimmt. Und wenn man dann noch belohnt dafür wird - mit üppigen Gehältern, schmeichelnden Auszeichnungen und sozialen Ehren – wird man sich irgendwann im Club der Materialisten wiederfinden, wo die Überzeugung herrscht, dass Materie das einzige in Wahrheit Existierende ist.
Die Geschichte schien den Materialisten Recht zu geben. Es gab eine Menge Dinge in der christlichen Religion, die uns wenig hilfreich waren. Dazu gehörte die Idee, dass alle Erkenntnis gottgegeben sei. Deshalb machte es keinen Sinn, sich überhaupt um irgendwelche Erkenntnisse zu bemühen. Und so gab es 1.500 Jahre lang keine Philosophie und keine Wissenschaften in Europa. Bis in die Neuzeit hinein gab es die Lehre von der „Konstanz der Arten“, die davon ausging, dass alle Arten in einem einmaligen göttlichen Schöpfungsakt erschaffen wurden und seither unverändert bestehen. Erst Charles Darwin setzte dem die Evolutionstheorie entgegen und öffnete damit der naturwissenschaftlichen Biologie die Tür. Es war also durchaus verständlich, dass die modernen Wissenschaft-ler nichts mehr mit dem Christentum zu tun haben wollten.
Doch die Wahrheiten des Glaubens haben sich oft als tief verwurzelt im Leben und Dasein der Menschen erwiesen. Gott oder die Götter wurden meist vermenschlicht dargestellt, aber viele Menschen finden immer noch Halt in einem Gott. Und die Entwicklung des Universums lässt sich am besten verstehen, wenn wir es in einem allgegenwärtigen, ewigen geistigen Raum erkennen. Lebewesen sind in den Religionen immer beseelt, und manchmal – zum Beispiel in der griechischen Mythologie – haben Menschen auch den Hauch des göttlichen Geistes empfangen – wodurch sie die „vollkommensten Wesen auf Erden“ wurden. Man sollte dabei freilich nicht vergessen, dass sie auch all der Gräueltaten fähig sind, die kein Tier je vollbringen könnte, weil sie anders als die Tiere über eine gewissen Wahlfreiheit verfügen.
Es ist natürlich nicht allzu leicht, sich Realität über die Seele zu verschaffen, weil wir sie eben nicht bei anderen sehen oder wahrnehmen können. Und wenn wir dann auch noch die Idee haben, die Seele wäre eine Art von nichts – etwas „Immaterielles“, was im Augenblick des Todes den Körper verlässt – hilft uns das auch nicht weiter. „Feinstofflich“ wäre besser.
Ähnlich ist es mit Sprüchen wie „In einem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele“. Es klingt gut, und es war sicherlich auch immer gut gemeint. Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus. „In einer gesunden Seele wohnt ein gesunder Körper“: Das macht mehr Sinn.
Leonardo da Vinci: Der Mensch nach Marcus Vitruvius Pollio.
Wir haben es uns einfach gemacht. Wir tun so, als gäbe es die Dinge nicht mehr, an die wir einmal geglaubt haben. Oder wir halten sie für „unerforschlich“. Und dann beschäftigen wir uns mit dem Aufbau des Universums und sagen: „Es gibt ein großes Geheimnis, woher man (vor diesem Leben) gekommen ist und wohin man (danach) gehen wird.“ Man hält sich für einen gläubigen Christen und lässt es damit gut sein.
Jeder, wie er will. Doch es hat sich als überaus nützlich erwiesen, wissenschaftlich zu untersuchen, woran wir die meiste Zeit geglaubt haben. Und deshalb haben wir die Seele wieder in die Psychologie eingeführt – sie gewissermaßen rehabilitiert. Ich lade Sie dazu ein, sich das ganze anzuschauen.
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