Vom Hungerleiden

Nr. 7 einer Artikelreihe über die Ernährung

 

 

Arnold Ehret war ein einfacher Mann, etwas kränklich, aber mit einem außergewöhn­lichen Überlebenswillen ausgestattet 1. Mit 18 zog er sich eine schwere Bronchitis zu. Diese war umso bedrohlicher, als sein Vater an Lungenschwindsucht gestorben war. (Sein Bruder erlag später, im Alter von 32 Jahren, der gleichen Krankheit.) Zum Militär­dienst eingezogen, wurde er nach zehn Monaten „wegen Herzleidens und Neurasthenie“ entlassen (Neurasthenie: vom grch. „neuron“, Nerv + „asthenes“, kraftlos, schwach: auch „Nerven-schwäche“: eine häufige Verlegenheitsdiagnose des 19. und 20. Jahr­hunderts für allgemeine Erschöpfungs- und Ermüdungszustände). Mit 30 führte eine chronische Nierenent­zündung zum gesundheitlichen Zusammenbruch. In den darauf folgenden neun Jahren konsultierte er 24 Ärzte. Er suchte Spezialbäder, Kneipp- und Naturheil­anstalten auf. Doch nichts wollte ihm helfen.

Als es mit ihm zu Ende zu gehen schien, machte er sich auf den Weg nach Italien und landete schließlich auf Capri. Er brach mit all seinen Ernährungsgewohn­heiten – und rettete damit sein Leben. Schnell kam er wieder zu Kräften. Sogar sein grau und schüt­ter gewordenes Haar erhielt wieder seine Farbe und Fülle zurück (er hat uns Fotos dazu hinterlassen). Und er erfreute sich bester Gesundheit, bis er im Alter von 56 Jahren bei einem Unfall starb.

Was hatte Ehret gemacht? - Er hatte erst einmal eine Weile gefastet und sich dann fast ausschließlich von Obst ernährt. Später kamen Beeren, Gemüse, Nüsse und Samen dazu - aber alles roh. Reines Wasser, frische Luft, Sonne, Bewegung und ausreichend Ruhe ergänzten die neue Lebensweise.

Ehret hielt seine Erfahrungen und Erkenntnisse in einem Büchlein fest. Es trägt den Titel „Vom kranken zum gesunden Menschen“ und erschien zum ersten Mal 1911. Es ist sicherlich kein wissenschaftlicher Text, doch nichtsdestoweniger ein Bericht darüber, wie es einem todkranken Mann gelang, wieder gesund zu werden. Und sein Grund­gedanke ist so einfach wie wahr:

Die „Kulturnahrung“ macht den Menschen krank, und viele Arzneien hin­dern ihn nur daran, wieder gesund zu werden.

Das Hauptübel in der üblichen „Kulturnahrung“ sah Ehret in all dem „Leim und Kleis­ter“, den er sowohl in tierischer Nahrung, z. B. Milch und Käse, wie auch pflanzlicher Nahrung, z. B. Brot und Mehlspeisen, annahm. Es „muss doch einleuchten“, meinte er, „dass im Laufe eines Lebens Darm und Magen so verkleistert und verschleimt werden …“, dass alle möglichen Krankheiten hier ihren Ausgang nehmen. Die Quellen, denen er den „Leim und Kleister“ zuschrieb, stellten sich später teilweise als richtig (z. B. Käse und Mehlspeisen), teilweise als falsch heraus (z. B. Kartoffeln und Reis). In der Sache selbst jedoch sollte er völlig recht behalten.

 

Eine altbekannte Krankheit

Der griechische Arzt Aretaios von Kappadozien beschrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Krankheit, wobei er der Krankheit selbst keinen Namen gab, die daran Erkrankten aber „koiliakos“ (zu „koilia“, Bauch; eigentlich also „Bauchkranke“) nannte 2, 3.

Francis Adams übersetzte Aretaios' Schrift 1856 für die Sydenham Society of England (eine Medizinervereinigung) ins Englische 3. Aus dem griechischen „koilia­kos“ wurde dabei das englische „celiac“.

1888 veröffentlichte der englische Arzt Samuel Gee eine Reihe klinischer Berichte sowohl über Kinder wie auch Erwachsene mit der Krankheit 3, 4. Er nannte sie „Celiac Disease“ (engl. „disease“, Krankheit).

Die Krankheit fängt meist im frühen Kindesalter an, wenn man mit der Zufütterung der Erwachsenenkost beginnt 5. Die Symptome sind Bauch-schmerzen, chronische Durch­fälle, voluminöser, übel riechender und aufgrund unverdauten Fetts oft glänzend-kleb­riger Stuhl („Fettstuhl“), häufiges Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit. Die Kinder sind quengelig, nehmen oft wenig an Gewicht zu, später kann das Längenwachstum zurückbleiben. Man spricht dann auch von einer „Gedeihstörung“. Bei Jugendlichen und Erwachsenen scheinen die Symptome weniger ausgeprägt. Es gibt auch unauffäl­lige Formen mit diffusen Beschwerden, wie chronischer Müdigkeit, Kraftlosigkeit oder Nervosität.

Heilungschancen sah Gee allein in veränderten Essgewohnheiten. „Dem Patienten darf nur wenig an Mehlspeisen zugestanden werden“, meinte er, „aber wenn es überhaupt möglich sein sollte, ihn zu heilen, dann mittels Diät.“

1924 berichtete Sidney Haas aus New York von Behandlungserfolgen mit einer Bana­nendiät 6. Danach gab es kaum eine Diät, mit der man es nicht versucht hätte: die Kohlenhydrate-Diät (Früchte und Kartoffelpüree oder Tomaten), die Beaf-Steak-Diät, die Milchdiät (2 bis 2 1/2 Liter am Tag) usw. Obwohl Gee bereits vor „Mehlspeisen“ gewarnt hatte, kam niemand auf die Idee, dergleichen aus der Nahrung auszuschließen.

Die entscheidenden Erkenntnisse dazu lieferte Willem-Karel Dicke, medizinischer Direktor der Juliana-Kinderklinik in Den Haag und später der Wilhelmina-Kinderklinik in Utrecht 6. Zwischen 1934 und 1936 begann er seine Experimente mit weizenfreier Diät. 1941 legte er einen ersten Bericht dazu vor. Er schreibt: „Die Diät sollte weder Brot noch Zwieback beinhalten. Zwei warme Mahlzeiten am Tag werden gut toleriert. Die dritte Mahlzeit kann süßer oder saurer Haferbrei (ohne jegliches Weizenmehl) sein.“

Eine zweite Schrift von 1950 enthält eine akribische Studie, die er zehn Jahre lang mit einem kleinen Jungen durchgeführt hatte. Die strikt weizenfreie Diät, die der Junge in der Klinik erhielt, wirkte sich wohltuend und normalisierend auf seine klinischen Symptome, sein Gewicht und seine Körpergröße aus. Wenn er nach Hause entlassen und die Diät abgebrochen wurde, fiel seine Wachstumskurve ab (siehe Abbildung 1). Während vier langer Klinikaufenthalte konnte der Trend zum normalen Wachstum aber jedes Mal wiederhergestellt werden.

Abb. 1: Wiederholte Korrektur der Wachstumsverzögerung mit weizenfreier Diät (während Klinikaufenthalten) bei einem Jungen innerhalb der ersten zehn Lebensjahre. Es handelt sich um eine vereinfachte und deutsch beschriftete Nachbildung einer Graphik aus: Dicke, W. K. (1950). Zöliakie. Eine Untersuchung der schädlichen Wirkungen verschie­dener Getreidearten bei Patienten mit Zöliakie (These). Universität Utrecht, Niederlande (Original niederländisch. „Coeliac Disease“ wurde mit „Zöliakie“ übersetzt).

Als andere Fallbeispiele wählte Dicke ältere Kinder mit langen Krankengeschichten aus, um jegliche Zweifel an der Korrektheit der Diagnose auszuschließen. In Langzeit­studien zeigte er, dass die Kinder mit weizenfreier Diät an Gewicht zulegten und die normale Körpergröße gesunder Kinder erreichten.

Dicke arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinem Kollegen H. A. Weyers und mit dem Biochemiker J. H. van de Kamer zusammen. Letzterer entwickelte eine einfache Methode, um den Fettgehalt der Faeces (neulat. Kot, „Stuhl“) zu bestimmen. Das ermöglichte es Dicke, die Fettabsorption (die Fettaufnahme im Darm) als Indikator für den Zustand seiner Patienten zu verwenden. Als Maß dachte er sich den Fettab­sorptions-Koeffizienten aus. (Ein Koeffizient ist eine Konstante, in diesem Fall der Prozentsatz an Fett, der aus der Nahrung absorbiert wird.)

Werte über 95 % definieren den normalen Bereich. Im obigen Beispiel hätten wir es also mit einem Krankheitszeichen zu tun.

1949/1950 führe Dicke ein Experiment mit vier zöliakiekranken Kindern durch. Sie erhielten ein Jahr lang für jeweils einige Wochen ein Mehl oder eine (aus dem Mehl isolierte) Stärke unter Ausschluss aller anderen Mehle und Stärken als Hauptbestandteil ihrer Diät. Die verwendeten Mehle waren Reis-, Weizen- und Roggenmehl; die verwen­deten Stärken waren Mais- und Weizenstärke. Als neutraler Energiespender wurden Kartoffeln verwendet. Bestimmt wurden Faeces (in g/24 h), Fettanteil der Faeces (in %) und der Fettabsorptions-Koeffizient.

Die Stärken erwiesen sich als unbedenklich. Problematisch waren nur die Mehle. Das Reismehl war gut verträglich, im Gegensatz zu Weizen- und Roggenmehl. Bei letzteren stiegen die Werte für Faeces und Fettanteil der Faeces stark an, der Fettabsorptions-Koeffizient stürzte regelrecht ab.

Dicke, von de Kamer und Weyers veröffentlichten ihre Erkenntnisse 1953 6: Sie stellten fest, dass die Prolamin-Komponente des Glutens für die mangelnde Nahrungsauf­nahme und all die nachfolgenden Probleme der Zöliakie („Coeliac Disease“) verant­wortlich ist.

Gluten (lat. „gluten“, Leim; im Deutschen wird die zweite Silbe betont; auch „Kleber“ oder „Klebereiweiß“) ist ein Sammelbegriff für Stoffgemische aus Proteinen, die im Samen vieler Getreidearten vorkommen 7. Im Gegensatz bsw. zu Strukturproteinen, die das Gerüst der Pflanze aufbauen, handelt es sich um Speicher- oder Reserve-Proteine, die der Nähr­stoffversorgung des Keimlings dienen.

Der Kleber setzt sich aus den beiden Komponenten Prolamin und Glutelin zusammen 8. Beim Weizen heißen sie „Gliadin“ und „Glutenin“, beim Roggen „Secalin“ und „Secalinin“, bei der Gerste „Hordein“ und „Hordenin“. Prolamin (Gliadin) und Glutelin (Glutenin) kommen im Weizen im Verhältnis von 1 : 1 vor und stellen zusammen seine mengenmäßig größte Protein-Fraktion dar.

(Ehrets Vorahnungen waren also gar nicht so schlecht. Sie gingen zumindest in die richtige Richtung.)

1969 veröffentliche die Europäische Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (so viel wie „Europäische Gesellschaft für Kinderheil­kunde, betreffend Magen, Darm, Leber und Ernährung“) zum ersten Mal diagnostische Kriterien für die Krankheit, die in revidierter Form noch heute gültig sind 5. Die Krank­heit heißt heute im Deutschen Zöliakie (praktisch eine Übersetzung des engl. „C[o]eliac Disease“).

Synonyme sind:

Glutensensitive Entero­pathie (sensitiv: vom lat. „sensitivus“, sensibel, empfindlich; zu „sentire“ empfinden: [über]empfindlich; Enteropathie: vom grch. „enteros“, Darm + „pathos“, Leiden, Schmerz: Sammelbegriff für Darmkrankheiten)

Gluteninduzierte Entero­pathie (induziert: vom lat. „inducere“, hinein-, herbeiführen)

Glutenunverträglichkeit

Beim Erwachsenen auch Sprue (wie „du“; aus dem Englischen übernommen)

 

Ein praktischer Stoff

Die Backeigenschaften des Glutens sind seit langem bekannt. Da Gluten wasserun­löslich ist, lässt es beim Anteigen – wenn man Wasser zum Mehl gibt - eine elastische Masse entstehen: den Teig.

„Die Elastizität des Glutens, das durch das während der Teiggärung entstehende Kohlendioxid unter Druck gerät, ermöglicht das Aufgehen des Teigs, das heißt, das in ihm wirkende Gas vergrößert sein Volumen.“ Das wusste der französische Allround-Wissenschaftler Louis Figuier schon Ende des 19. Jahrhunderts 9.

Der Kleber gerinnt beim Backen und sorgt auf diese Weise dafür, dass das fertige Gebäck seine Form – mit den typischen kleinen Luftbläschen darin – beibe­hält. Deshalb wird Gluten als so „entscheidend für die Backeigen­schaften des Mehls“ betrachtet; und deshalb dominiert Weizenmehl die Backstuben und die Ferti­gungshallen der Groß­bäckereien.

Die Getreidearten mit den höchsten Gluten-Anteilen sind Weizen, Roggen, Gerste und alle Arten und Formen von Weizen: Hartweizen, Weichweizen, Dinkel, Grünkern, Kamut, Emmer (der Weizen der Römer), Durham-Weizen, Bulgar, Graham und Triticale. Einen glutenähnlichen Stoff enthält gewöhnlicher Mais. Dasselbe gilt für Soja. Aus Mais wird Kleber hergestellt, mit dem sich Papier und Karton kleben lässt. Aus Weizen und Soja macht man Kleber, die Metall zusammen halten.

Gluten ist in allem enthalten, worin Gluten-Getreide verarbeitet wird: Brot, Semmeln, Bretze(l)n, Zwieback, Toastbrot, Baguettes, Kuchen, Gebäck, Plätzchen, Pizzas, Nudeln, Spätzle usw.

Im handelsüblichen Weizenmehl liegt der Trockenklebergehalt bei etwa 13 % 7. Da der trockene Kleber das Zwei- bis Dreifache seines Gewichts an Wasser aufnehmen kann, beträgt der Feuchtklebergehalt 30 bis 35 %.

Gluten wird seit kurzem auch im Labor isoliert 9. Es wird mit Kochsalzlösung aus Teig ausgewaschen. Ein Test zeigt an, wenn keine Stärke (der zweite Hauptbestandteil des Teigs) mehr vorhanden ist. Gluten entsteht umgekehrt auch als Abfallprodukt bei der Gewinnung von Stärke - die wiederum für Süßwaren, Backwaren, Milchprodukte und insbesondere süße Getränkemixturen verwendet wird.

Isoliertes Gluten ist mittlerweile eine der meistverwendeten Backhilfen. Es vergrößert Volumen und Gewicht und erhält Form und Struktur von Backwaren aller Art. Die Frage ist dann, wie viel Gluten eigentlich in dem Teil enthalten ist, das die Großbäckerei als Rohling verlässt und im „Backshop“ aufgebacken und als Bretze(l) verkauft wird.

Glutenfreie Getreide sind Hirse, Teff, Reis, Quinoa und Amarant. Hafer enthält zwar geringe Mengen an Gluten, seine Zusammensetzung hat sich aber als bekömmlich erwiesen. Dicke selbst verwendete ja Haferbrei bei seiner Diät 5, 6. Es gibt auch gluten­freien Mais, sogenannten Stärkemais. Glutenfrei sind auch „Pseudogetreide“ wie Buchweizen (keine Weizenart sondern ein „Knöterichgewächs“) oder Wildreis (keine Wildform von Reis, sondern eine entfernt mit dem Reis verwandte Wasserpflanze) sowie Kastanien und Erdmandeln.

Glutenfreie und als solche gekennzeichnete Lebensmittel sind in Reform- und Bioläden, seit kurzem auch in gewöhnlichen Supermärkten erhältlich. Zur Kenn­zeichnung siehe Abbildung 2.

Sie können sich mit einem einfachen Experiment veranschaulichen, worum es hier geht. Sie brauchen dazu zwei Brotmesser, einen frischen Laib Weizenbrot und einen frischen Laib glutenfreies Brot (z. B. Quinoa-Amarant-Brot).

Nehmen Sie das eine Brotmesser zur Hand und schneiden Sie damit das Weizenbrot auf. Nehmen Sie dann das andere Brotmesser zur Hand und schneiden Sie damit das glutenfreie Brot auf. Sie sollten mit beiden Messern ungefähr gleich viele Schnitte machen. Kenn­zeichnen Sie beide Messer (so dass Sie später wissen, mit welchem Messer Sie welches Brot aufgeschnitten haben). Legen Sie die Messer beiseite und lassen Sie die Teigreste auf den Schneiden eintrocknen. Säubern Sie die beiden Brotmesser am nächsten Tag und achten Sie darauf, wie viel Aufwand Sie jeweils betreiben müssen, um das Messer sauber zu bekommen. Sie werden eine konkrete Idee davon erhalten, was Gluten im menschlichen Körper macht.

Abb. 2: Symbole für glutenfreie Lebensmittel.

Wenn Sie gern Getreidebrei (oder „Müsli“) zum Frühstück essen, so beachten Sie aber, dass abgepackte Flocken generell hitzebehandelt sind. Sie würden ansonsten schnell verderben. Wer alle Inhaltsstoffe des Getreides haben will, muss es also unmittelbar vor dem Verzehr selber durch die Getreidemühle drehen.

 

Versorgungsmängel

Die Eiweißverdauung beginnt im Magen. Die Salzsäure des Magens lässt das Eiweiß gerinnen und über­nimmt so den ersten Schritt der Eiweißverdauung. Der menschliche Magen wird aber kaum mit dem Kleber fertig 10. Seine Versuche führen leicht zu Über­säuerung - und damit Sodbrennen und Magenentzündungen.

Der Kleber passiert den Magen mehr oder weniger unverdaut und gelangt in den Dünn­darm: das wichtigste Verdauungs- und Absorptionsorgan (siehe Abbil­dung 3). Hier werden Zucker, Eiweiße, Mineralstoffe und Vitamine ins Blut aufge­nommen (Fette nehmen den Weg über die Lymphe). Im Zwölffingerdarm werden Cal­cium, Eisen, Jod, Vitamin B, Vitamin C und Spuren­elemente wie Zink, Bor, Mangan, Lithium und Magnesium absor­biert 10. Der größte Teil der Vitamin-D-Aktivität – die mit der Auf­nahme von Calcium zu tun hat -, findet im ersten Drittel des Zwölf­fingerdarms statt.

Verklebungen und Schädigungen der Dünndarmschleimhaut führen zu man­gelnder Absorp­tion der Nahrungsbestandteile und auf diese Weise allmäh­lich zur Aushunge­rung des Körpers.

Die Ergebnisse sind zu sehen, wo immer man hin­sieht. Früher sagte man: „Die Zähne sind der Spiegel der Gesundheit.“ Heute haben aber so viele Leute den Mund voller blendend weißer Kronen und Implantate, dass der Spruch – zumindest auf den ersten Blick – nicht mehr zutrifft. Gemeint war damit, dass sich die Gesund­heit eines Menschen in seinem Äußeren manifestiert. All die obigen Vitamine und Mineralstoffe sind unent­behrlich für Haut, Haare und Nägel 11, 12, 13. Wenn sie fehlen, wird die Haut trocken; die Nägel werden brüchig; die Haare werden stumpf und dünn, sie verlieren an Spann­kraft, und der Haarwuchs versiegt.

Ehret schrieb ein ganzes Kapitel über „die erschreckende Verbreitung und Frühzeitigkeit des Kahlkopfes“ und den „modernen Kurzhaarschnitt“ zum Kaschieren der Probleme. Seine Beobachtungen stammen aus der Zeit, als es mit der Ernährung bergab zu gehen begann.

Was wir nicht direkt sehen können, sind Schäden an Bandscheiben, Herzklappen, Knor­peln und Bändern, Schilddrüsenerkrankungen, Osteoporose (vom grch. „osteon“, Kno­chen + „poros“, Öffnung, Pore: Schwund des festen Knochengewebes bei Zunahme der Markräume), Eisenmangelanämie (Anämie: vom grch. „a-“, nicht, un- + „aimos“, Blut: Blutarmut; Eisenmangelanämie: durch Eisenmangel verursachte Anämie, die häufigste Form der Anämie) usw. 10.

Überflüssiges und Unverdauliches wird gleichzeitig in den Fettdepots des Bindege­webes gelagert, sowie die entsprechenden Abbau- und Ausscheidungskapazitäten über­schritten sind. Auf diese Weise entsteht das eigenartige Phänomen, dass die Leute immer mehr an Masse („Gewicht“) zulegen – und gleichzeitig immer mehr aushungern. Die Masse ist eine weitere Belastung für den geschwächten Bewegungsapparat.

Die Leute essen ständig, weil sie die Nahrung kaum aufnehmen (und weil sie von vorn­herein wenig Brauchbares enthält); und weil sie die Nahrung kaum aufnehmen, werden sie nicht wirklich satt.

Abb. 3: Magen-Darm-Trakt. In der Mitte der Dünndarm, bestehend aus Zwölffinger-darm, Leerdarm und Krummdarm.

Der Untergang des Versorgungssystems

Dass Versorgungsmängel im Körper auftreten, wenn das Versorgungssystem blockiert ist, ist eine Sache, dass das Versorgungssystem selbst dabei geschädigt wird, eine andere. Das Versorgungssystem ist in diesem Fall der Magen-Darm-Trakt.

Die ständige Übersäuerung des Magens kann zu Magenentzündungen führen. Sie lädt oft aber auch einen Parasiten ein. Sein Name: Helicobacter pylori 28.

Helicobacter pylori (neulat.): Helicobacter: vom lat. „helix“, Spirale, Windung; das vom gleichbed. grch. „helix“ + grch. „baktron“, Stab; pylori: Gen. von lat „pylorus“, Pförtner, Torhüter; neulat. „Pylorus“ (Schließmuskel am Magenausgang; auch „Pförtner“): spiral­förmiges Bakterium, das sich am Pylorus ansiedelt und von hier aus in die Magen- und Darmschleimhaut ausbreitet.

Chronische Magenentzündungen sowie Magen- und Zwölffingerdarm-geschwüre gehen (unmittelbar) meist auf Helicobacter pylori zurück 28. Da Bakterien meist üble Gerüche produzieren, besteht ein Hinweis für die Besiedelung des Magens mit Helico­bacter pylori in einem typi­schen, üblen Mundgeruch (der in diesem Fall zwar aus dem Mund kommt, aber eben nicht aus dem Mund stammt).

Die australischen Forscher Barry Marshall und John Robin Warren entdeckten das Bakterium 1983 und erhielten 2005 gar den Nobel-Preis für Medizin dafür. Die Stan­dardtherapie besteht seither aus drei Medikamenten (zusammen verab-reicht): einem Magensäurehemmer und zwei verschiedenen Antibiotika.

Helicobacter pylori erweist sich oft jedoch als resistent. Sowohl Magensäure-hemmer wie auch Antibiotika haben zudem den Nachteil, dass sie im Dünndarm den Nährboden für die wuchernde Ausbreitung eines durchaus auch in der natürlichen Darmflora vor­handenen Hefepilzes bereiten. Die Rede ist von Candida albicans 29.

Candida albicans (neulat.): Candida: vom lat. „candida“, eigentlich „die (Schnee)Weiße“: Hefe (einzelliger Pilz); albicans: Part. Präs. von „albicari“, schimmern: Pilz/Hefepilz, der häufig auf den Schleimhäuten von Mund und Rachen, des Verdauungstrakts und des Geni­talbereichs zu finden ist. Er kann auch zwischen Fingern und Zehen und auf den Fuß- und Fingernägeln vorkommen. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung kann er bei etwa 75 % aller gesunden Menschen nachgewiesen werden. Eine Überwucherung der Darmflora mit Candida albans ist ein häufiger Faktor bei Störungen und Krankheiten des Magen-Darm-Trakts.

Der Kleber tut dem Magen sicher nicht gut. Mehr Schaden scheint er gewöhnlich aber im empfindlicheren Dünndarm anzurichten 5:

  • Die Schleimhaut kleidet den Dünndarm nicht als glatte Fläche aus 14. Sie ist viel­mehr faltig aufgeworfen, um eine möglichst große Kontakt­fläche mit dem Speisebrei zu schaffen. Die Falten sind ringförmig angeordnet und bis zu 1 cm hoch.
  • Typisch für die Darmschleimhaut sind finger- oder fadenförmige Ausstülpungen: die Zotten (vom althochdeutschen „zota“, Haar) 15. Es handelt sich um etwa 0,5 bis 1 mm lange Erhebungen. Der Dünndarm hat ungefähr 4 Millionen davon, wobei ihre Dichte zum Krummdarm hin abnimmt. Sie leisten einen ent­scheidenden Beitrag zur Absorption der Nahrung.
  • Deutlich zahlreicher als die Zotten sind die Krypten (vom grch. „krypte“, Grube): etwa 0,5 cm tiefe Senken. Sie sondern den „Dünndarmsaft“ für die Verdauung ab; weitere Verdauungssäfte werden von Bauchspeicheldrüse und Galle in den Dünndarm abgegeben. In den Krypten wird darüber hinaus die Schleimhautoberfläche kontinuierlich erneuert (Darmschleimhautzellen haben eine Lebensdauer von nur einigen Tagen).
  • Die Schleimhaut ist außerdem mit einem dichten Bürstensaum besetzt: kleinen zottenartigen Gebilden, ungefähr 0,1 μm dick und 1 bis 4 μm lang (1 μm = 1 Mikro­meter = 0,001 mm). Wie die Falten und Zotten vergrößern sie die Ober­fläche der Schleimhaut. Sie bilden aber auch Stoffe für Verdauung und Absorp­tion und schützen den Darm vor Selbstverdauung.
  • Die Wandungen des gesamten Darms sind reich an Blutgefäßen, insbesondere Haargefäßen: den Schnittstellen zwischen arteriellem und venösem System. Hier sind die Gefäßwände dünn und durchlässig genug, um Nahrungsinhalte ins Blut aufzunehmen.
  • Die Schleimhäute des Darms sind reichlich von Mikroorganismen, hauptsäch­lich Bakte­rien, besiedelt. Insgesamt sind es zwischen 10 und 100 Billionen Exemplare. Noch dichter als die Besiedelung des Dünndarms ist die des Dick­darms. Die sogenannte Darmflora dient zum einen der Abwehr, zum anderen der Ver­dauung 17.
  • Der gesamte Magen-Darm-Trakt enthält in seinen Wandungen ein komplexes Nervengeflecht, das Verdauung und Absorption steuert und relativ autonom arbeitet. Es hat ungefähr 100 Millionen (von insgesamt 25 Milliarden) Nerven­zellen.
  • Ebenfalls über den gesamten Magen-Darm-Trakt verteilt, finden sich Ansamm­lungen von weißen Blutzellen (Leukozyten: vom grch. „leukos“, weiß + -zyt: Wortendung mit der Bedeutung „Zelle“). 70 bis 80 % aller Immunzellen, die Antikörper (zur spezifischen Bekämpfung von Keimen und Fremdstoffen) pro­duzieren, sitzen in der Darmschleimhaut.

Im Falle der Zöliakie dringen Prolamine, wie z. B. Gliadin, in die Darmwand ein. Dort wird das Enzym Gewebstransglutaminase (tTG für das gleichbed. engl. Tissue Trans­glutaminase) aktiviert. Gewebstransglutaminase baut das Gliadin ab. Die teilweise gifti­gen Abbauprodukte verteilen sich über die Darmschleimhaut und lösen eine komplexe Immunreaktion aus, an deren Ende großflächige Schäden stehen.

Die Leukozyten produzieren zwei Arten von Antikörpern: Antikörper gegen das Glia­din und Antikörper gegen die Gewebstransglutaminase. Im ersten Fall gilt der Anti­körper einem körperfremdem Stoff; die Reaktion ist daher eine Allergie. Im zweiten Fall gilt die Reaktion einem körpereigenen Stoff; die Reaktion ist daher eine Autoim­munerkrankung (grch. „autos“, selbst).

Das Immunsystem ist in diesen Fällen in eine Art Zwickmühle gebracht worden. Die Gewebstransglutaminase wird benötigt, um das Prolamin bzw. Gliadin zu spalten. Deshalb ist ihre Anwesenheit im erkrankten Darm erheblich gesteigert 16. Die giftigen Reaktions­produkte (in erster Linie Ammoniak) in den anfallenden Mengen werden nun aber zum Problem. Deshalb wird Gewebstransglutaminase angegriffen.

Die chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut führt dazu, dass Schleimhaut­zellen absterben 18. Der Bürstensaum geht verloren, die Krypten werden tiefer und die Zotten verschwinden (siehe Abbildungen 4 und 5). Herausragendes Symptom ist die Zottenatrophie (Atrophie: vom grch. „a-“, nicht, un- + „trophein“, nähren, ernähren: Gewebeschwund).

Abb. 4: Bild einer Dünndarmspiegelung bei Zöliakie. Die (gereinigte) Schleimhaut ist wie blank geputzt.

Abb. 5: Mikroskopisches Bild der geschädigten Dünndarmschleimhaut mit Zotten-atrophie, Vergrößerung der Krypten und Einwanderung von Leukozyten (Gewebe-schnitt).

Wenn der Dünndarm schwer und lange genug geschädigt worden ist, um zu ernsthaften Ernährungsmängeln zu führen, sondern die Darmzellen ein Hormon, genannt Zonulin, ab, um die natürlichen Darmbarrieren zu öffnen 19. Das ist ist sozusagen „Plan B“ des Dünn­darms, um an Nahrung zu gelangen. Der Plan hat auch einen Namen: das Leaky Gut Syndrom (engl. „leaky gut“, löchriger Darm). Der Nachteil dabei ist, dass die Tore nicht nur für das geöffnet werden, was der Körper braucht, sondern auch für das, was sie eigentlich fernhalten sollten.

Zöliakie ist eine Katastrophe für den Organismus. Ein löchriger Darm (auch „Sicker­darm“) ist ein Notfall­programm, das nicht allzu lange funktionieren kann.

 

Verknüpfte Probleme

„Warum haben die früher seltenen Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre in diesem Jahrhundert derart überhandgenommen?“, fragte Henry Sigerist, Professor an der John Hopkins Universität in Baltimore, bei einem Ärztekongress in New York am 31. März 1947 (Bircher, 2010). Hier ist eine der möglichen Antworten.

Warum hat die Anzahl der Darmkrebserkrankungen (bösartige Tumoren vor allem des Dickdarms und Mastdarms) in den letzten 30 Jahren so sehr zugenommen? Darmkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Krebserkrankung – und was für die Häufigkeit gilt, gilt ebenso für die Tödlichkeit. Zusammenhänge mit Zöliakie liegen nahe 5.

Die Kleber der Industriekost stammen nicht nur aus Weizen, Roggen und Gerste, sondern auch Milch, Soja und Mais 10, 20, 21. Sie überziehen den Darm entlang ihres Wegs durch den Verdauungstrakt, und sie machen sicher nicht am Eingang des Dickdarms halt. Antibiotika, die Antibabypille, raffinierter Zucker, Nahrungsmittelzusatzstoffe, zu viel Fett und zu viel Eiweiß ruinieren die Darmflora 27. So gibt es eine ganze Reihe von Darm­krankheiten, die sich in ihren Symptomen überschneiden - doch zumindest einen gemeinsamen Nenner darin haben, den Körper allmählich auszu­hungern.

Der Dickdarm schließt sich an den Dünndarm an und umfasst die Baucheingeweide in einem großen Bogen (siehe Abb. 3). Er hat keine Zotten wie der Dünndarm. Charakte­ristisch ist vielmehr eine stetige Abfolge von Ausbuchtungen und Einschnürungen. Der Dickdarm hat die Aufgabe, dem Nahrungsbrei das restliche, vom Dünndarm nicht aufgenommene Wasser einschließlich darin gelöster Salze zu entziehen und den Rest dem Mastdarm zur Ausscheidung zu übergeben 22. Die gesunde Darmflora des Dick­darms produziert außerdem wichtige Aminosäuren und Vitamine.

In den Ausbuchtungen können sich Bestandteile des Nahrungsbreis ablagern. So kommt es zu Beschichtungen und Kotsteinen: steinartigen Verdichtungen aus Kleber, Schleim und Resten des Nahrungsbreis 23. Hier haben wir Ausgangs-bedingungen für eine Colitis (vom lat. „colon“; das vom gleichbed. grch. „kolon“, Darm + „-itis“, Wortendung mit der Bedeutung „Entzündung“; auch „Dickdarm-entzündung“) 24. Im Vordergrund stehen wiederkehrende Durchfälle, Koliken und Darmblutungen.

In der kranken Darmwand können Erweiterungen und Ausstülpungen entstehen, soge­nannte Divertikel (vom lat. „diverticulum“, Abweg, Seitenweg). Wenn sie kotgefüllt sind, kommt es bei der Eindickung des Divertikelinhalts wiederum zu Kotsteinen, unter denen die Schleim­haut zugrunde geht. Wenn sich die Entzündungen und Eiteransamm­lungen ausbreiten, spricht man von Diver­tikulitis („Entzündung von Divertikeln“). Symptome sind plötzlich auftretende Schmer­zen meist im linken Unterbauch mit Aus­strahlungen in den Rücken, Fieber, Übelkeit, Erbrechen u. ä. Die Entzündungen können auf umliegende Organe und das Bauchfell (Auskleidung der Bauchhöhle) übergreifen. Bei Verdickungen der Darm­wand kann es zu Störungen der Darmpassage bis hin zum lebensbedrohlichen Darm­verschluss kommen.

Als genauso häufig wie harmlos gilt das Reizdarm-Syndrom 25. Symptome sind Schmerzen und Unwohlsein im Bauchraum, verbunden mit Blähungen, Durchfall und Verstopfungen (weniger als dreimal Stuhlgang die Woche). Per Definition liegen keine strukturellen oder biochemischen Verände­rungen vor, doch es ist auch bekannt, dass die Darmflora beim Reizdarm-Syndroms verändert ist 27. Die ständigen Durchfälle führen zu Verhärtungen von Schleim und Nahrungsresten und damit zu Verstopfun­gen. Da dem Darminhalt aber weiterhin Wasser entzogen wird (was ja die Hauptaufgabe des Dickdarms ist), werden die Verstopfungen immer massiver. Mögliche Komplika­tionen sind dann der Darm­verschluss oder gar Darmdurchbruch.

Als Hauptformen der chronischen Dickdarmentzündung gelten Colitis ulcerosa (lat. „ulcerosa“, mit Geschwüren einhergehend; zu „ulcus“, Geschwür) und Morbus Crohn (lat. „morbus“, Krankheit; Morbus Crohn oder Crohnsche Krankheit ist nach einem ihrer Erstbeschreiber benannt).

Colitis ulcerosa und Morbus Crohn lassen sich oft schwer voneinander abgrenzen. Bei der Colitis ulcerosa jedoch sind nur die oberen Schich­ten der Schleimhaut, beim Morbus Crohn ist die Schleimhaut durchgängig betroffen. Bei der Colitis ulcerosa findet man den Befall nur im Dickdarm. Beim Morbus Crohn kann der gesamte Magen-Darm-Trakt betroffen sein, bevorzugt jedoch der Dickdarm und das letzte Stück des Krumm­darms. Insbesondere beim Morbus Crohn besteht ein erhöhtes Darmkrebsrisiko.

Da es die Hauptaufgabe des Dickdarms ist, Wasser aus dem Nahrungsbrei aufzu­nehmen, wird sein Ausfall – ganz nebenbei - zur Dehydration (vom lat. „de-“, weg, von … weg, ab + grch. „hydor“, Wasser: Entzug von Wasser, Austrocknung) und damit zur schlei­chenden Selbstvergiftung des Körpers beitragen.

Es ist von Natur aus nicht vorgesehen, dass Kot nach Rosen duftet. Wenn er aber übel riecht, stimmt etwas mit der Verdauung nicht. Und wenn der Darm die ganze Zeit entzündet ist, wenn die Schleimhaut unter Kotsteinen abstirbt, wenn die Darmflora verpilzt ist, wenn Geschwüre bluten und sich das Blut mit Eiter mischt, ist es nicht verwunderlich, wenn irgendwann einmal Darmkrebs daraus wird.

 

Eine neue Sicht der Dinge

Zöliakie konnte früher nur anhand der klinischen Symptome (Bauchschmerzen, chroni­sche Durch­fälle usw.) diagnostiziert werden. Es waren im Grunde also nur Verdachts­diagnosen.

Dicke und Kollegen fanden 1953 das Gliadin des Weizens als Auslöser der Krankheit (siehe oben). Damit konnte man einem spezifischen Stoff nachgehen.

E. Berger gelang es 1958, Gliadin-Antikörper im Blut Zöliakiekranker nachzuweisen 19. Damit hatte man zum ersten Mal die Möglichkeit, Zöliakie mittels Blutuntersuchung zu erkennen.

W. Dieterich fand 1997 die Gewebstransglutaminase als Ziel weiterer Antikörper. Damit wurden die diagnostischen Möglichkeiten der Blut­untersuchung erweitert.

Angaben zur Häufigkeit der Erkrankung schwanken in verschiedenen Ländern teilweise erheblich 5. Die Angaben unterscheiden sich auch danach, ob die Diagnose allein aufgrund klinischer Symptome oder auch Blutuntersuchungen gestellt wird. Unter allei­niger Berücksichtigung der klinischen Symptome reicht die Häufigkeit von 1 : 10.000 in Dänemark und den USA bis zu 1 : 300 in Schweden und Großbritannien. Weltweit wird eine durchschnittliche Häufigkeit von 1 : 3.350 abgegeben. Unter Miteinbeziehung der mittels Blutuntersuchung diagnostizierten Fälle wird in Deutschland und Dänemark eine Häufigkeit von 1 : 500, in Großbritannien und den USA von 1 : 110 und weltweit im Durchschnitt von 1 : 270 genannt.

Darüber hinaus hat man ganz unvermutete Fälle von Zöliakie bsw. im Rah­men von Familienuntersuchung gefunden 5. Die Leute konnten eine fast voll­ständige Zottenatro­phie aufweisen und dennoch nur schwache oder unspezi­fische Symptome zeigen: Bauchschmerzen, Verstopfung, einen verringerten Kalk­gehalt der Knochen, Eisen­mangel, Gelenkentzündungen, Zahndefekte, bei Kindern Wachstumsverzögerungen und verzögerte Pubertät, bei Frauen Unfruchtbarkeit und häufige Fehlgeburten usw.

Die Tatsache, dass nur ein Teil der Zölikiekranken die typischen Symptome der Zöliakie zeigen, ist in der einschlägigen Literatur als Eisbergphänomen bekannt geworden 5, 26:

  • Die Spitze des Eisbergs ist die akute Zöliakie: die Fälle mit voller Ausprägung aller Symptome.
  • Darunter gibt es die silente Zöliakie (silent: vom lat. „silens“, schweigend; ver­schwiegen; zu „silere“, schweigen). Die Leute weisen eine (fast) vollständige Zottenatrophie auf, haben jedoch keine oder nur geringe und unspezifische Symptome.
  • Wiederum darunter haben wir die latente Zöliakie (latent: vom lat. „latens“, verborgen; zu „latere“, verborgen sein). Hier waren in der Vergangenheit Zotten verschwunden. Die Darmschleimhaut hat sich jedoch unter glutenfreier Diät erholt.
  • Unter potentieller Zöliakie verstehen wir schließlich Fälle, bei denen es nie irgendwelche krankhafte Veränderungen der Dünndarmschleimhaut gab, die aber dennoch zöliakietypische immunologische Veränderungen im Blutbild auf­weisen.

Die Frage ist hier also, was all diese Zahlen zur Häufigkeit der Zöliakie eigentlich wert sind. Der Mensch hat Äonen von Jahren der Entwicklung hinter sich. Weshalb also sollte er plötzlich - von sich aus - eine derartige Fülle von Fehlreaktionen in Form von Krankheiten, bsw. die Zöliakie, produzieren? Wäre es nicht naheliegender, nach Ver­änderungen in seinen Lebens- und Ernährungs-gewohnheiten zu suchen? Könnte es nicht sein, dass all diese Allergien und Autoimmunerkrankungen gar keine „überschießenden Reaktio­nen des Immunsystems“, sondern gesunde Reaktionen auf schädliche oder gif­tige Stoffe sind?

„Aber wir essen doch schon immer Weizen ..“, sagen einem die Leute. Doch das ist nicht der Punkt. Der Weizen, den wir heute kennen, ist keine natürliche Nahrung 20. Er entstand vielmehr vor etwa 2.000 Jahren durch Züchtung. Man wählte fortgesetzt die­jenigen Samen zur Fortpflanzung aus, deren Eigenschaften man haben wollte; und man eliminierte fortgesetzt diejenigen Samen, deren Eigenschaften man nicht haben wollte. Die Eigenschaften, die man haben wollte, waren Ergiebigkeit, Haltbarkeit und Verarbei­tungsfähigkeit. So ist es gekommen, dass der moderne Weizen bis zu 55 % aus Gluten besteht, während es bei den wilden Gräsern, aus denen er gezüchtet wurde, gerade mal 5 % sind. Das ist der Punkt.

John Symes war einer der ersten, die die Situation erkannten 21. Er schließt Weizen, Kuhmilch, Soja und Mais aus seiner Diät aus – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich dabei eigentlich um gar keine Diät, sondern nur um vernünftige Ernährung handelt.

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Wichtige Entdeckungen bleiben oft unbeachtet. Was hervorragende Leute herausge­funden haben, wird oft der Vergessenheit überlassen.

Der hervorragende Mann war in diesem Fall Willem-Karel Dicke. Er fand vor mehr als 60 Jahren einen Stoff in der modernen Industriekost, der vielen Leuten eine Menge Probleme bereitet.

Doch es scheint kaum jemanden zu kümmern. Man diskutiert manchmal darüber - „kontrovers“. Man führt Studien durch, um herauszufinden, wie genau der Stoff seine schädliche Wirkung entfaltet. Aber kaum jemand kommt auf die Idee, ihn aus Lebens­mitteln zu entfernen.

Hat man Dickes Entdeckung noch immer nicht zur Kenntnis genommen? Oder hat man sie lange genug ignoriert, bis sie schließlich wieder in der Vergessenheit verschwand?

 

Literatur

Bircher, Ralph (2010). Geheimarchiv der Ernährungslehre. Rottenburg: Kopp, 13. Aufl.

Ehret, Arnold (1987). Vom kranken zum gesunden Menschen. Die Ursache aller Krank­heiten. Ritterhude: Waldthausen Verlag.

Saloga, J., Klimek, L., Buhl, R. Mann, W. & Knop, J. (2006). Allergologie-Handbuch, Grundlagen und klinische Praxis. Stuttgart: Schattauer.

 

Bilder

Autor von Abbildung 1 ist Oliver Franke

Abbildungen 3, 4 und 5 unterliegen der Gemeinfreiheit („public Domain“).

Autor von Abbildung 3:

http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Arcadian

Autor von Abbildung 4 und 5

http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Emijrp

 

Web-Links

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Ehret

2 http://de.wikipedia.org/wiki/Aretaios

3 http://www.csaceliacs.org/history_of_celiac_disease.jsp

4 http://www.aim25.ac.uk/cgi-bin/search2?coll_id=7101&inst_id=8%20

5 http://de.wikipedia.org/wiki/Z%C3%B6liakie

6 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1374403/pdf/gut00562-0009.pdf

7 http://de.wikipedia.org/wiki/Gluten

8 http://de.wikipedia.org/wiki/Osborne-Fraktionen

9 http://www.wissensforum-backwaren.de/fachwissen/fachwissen-baecker

10 http://dogtorj.com/main-course/epilepsy-and-diet/the-epilepsy-diet-made-simple/

11 http://de.wikipedia.org/wiki/Haar

12 http://www.ulrike-maldoff.de/hautregeneration/haarausfall/haarausfall-und-ernahrung/die-wichtigsten-naehrstoffe-fuer-die-haare.html

13 http://www.gesunde-lebensfuehrung.com/index.php?id=28

14 http://flexikon.doccheck.com/de/D%C3%BCnndarmschleimhaut

15 http://flexikon.doccheck.com/de/D%C3%BCnndarmzotte

16 http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/8729/1/Becker.pdf

17 http://www.gesund-heilfasten.de/darmerkrankungen/darmbakterien.html

18 http://flexikon.doccheck.com/de/Z%C3%B6liakie

19 http://dogtorj.com/what-is-food-intolerance/what-is-the-leaky-gut/

20 http://suite101.de/article/krank-durch-milch-und-weizen-a70596#.VOTBkPmG9H8

21 http://dogtorj.com/

22 http://de.wikipedia.org/wiki/Colon

23 http://de.wikipedia.org/wiki/Kotstein

24 http://de.wikipedia.org/wiki/Colitis_ulcerosa

25 http://de.wikipedia.org/wiki/Reizdarmsyndrom

26 http://www.bioscientia.de/de/files/2013/10/bericht-13_zoeliakie.pdf

27 http://www.zentrum-der-gesundheit.de/schaedlich-fuer-darmflora.html

28 http://www.medizinauskunft.de/artikel/diagnose/krankheiten/Magen_Darm_Niere/18_11_helicobacter.php

29 http://www.magendarmgrippe.net/erkrankungen/darmpilz.html

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